Hier findet man wichtigen dokumente ueber die Kirche und das Religion, die nicht vom Papst Benedikxt XVI oder Kardinal Joseph Ratzinger sind.
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Walter Kardinal Kasper über die Zukunft der Ökumene (Teil 1)
Festvortrag anlässlich des Patronatsfests der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Pallottiner
in Vallendar am 8. Dezember 2005
ROM, 19. Januar 2006 (ZENIT.org).-
In der Gebetswoche für die Einheit der Christen, die Papst Benedikt XVI. gestern eröffnete, veröffentlichen wir in zwei Teilen heute und morgen jenen Festvortrag, den Walter Kardinal Kasper, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, vor einem Monat an der Philosophisch- Theologischen Hochschule der Pallottiner in Vallendar hielt.
In seinen Ausführungen über die Zukunft der Ökumene betonte der Kardinal zunächst, dass diese "in der Tat ein Abenteuer des Heiligen Geistes" sei, um in der Folge fünf Thesen aufzustellen. Dabei handelt es sich um Ziel führende "Wegmarkierungen", die ihm wichtig erscheinen. Unter anderem gehört etwa das Bewusstsein dazu, dass Gleichgültigkeit, Ignoranz und Indifferenz der "größte Feind der Ökumene" sind.
In diesem Sinn bekräftigt der deutsche Kurienkardinal: "Die Ökumene der Zukunft setzt daher christliche Initiation, das heißt eine solide ganzheitliche Einführung in den Glauben und in das Leben der Kirche voraus. Viele Christen sind getauft, ohne evangelisiert zu sein und ohne jemals durch eine gründliche Katechese wirklich in den Glauben eingeführt worden zu sein. Hier liegt das Grundproblem beider Volkskirchen."
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Heute, genau vor 40 Jahren, am 8. Dezember 1965, ist das 11. Vatikanische Konzil zu Ende gegangen. Diejenigen die alte genug sind um sich noch an die Konzilszeit erinnern zu können, wissen, es war eine große Zeit, angefüllt gewiss mit Spannungen und harten Diskussionen, aber auch mit großen Erwartungen; es herrschte Aufbruchstimmung. Das Ende des Konzils war zugleich ein neuer Anfang. Vieles hat sich seither in der Kirche und zwischen den Kirchen verändert. Das heißt ganz gewiss nicht, dass die nachkonziliare Kirche eine neue Kirche wäre; sie ist die eine Kirche aller Zeiten, aber die eine Kirche, die nicht eine alte Kirche ist, die eine Kirche vielmehr, die sich stets jung und erneuerungsfähig zeigt, die aus dem Reichtum ihrer Tradition immer wieder neu Kraft und Schwung schöpft um in die Zukunft auszugreifen. Nach dem Kirchenvater Irenäus von Lyon ist es die Aufgabe des Heiligen Geistes, das ein für alle Mal überlieferte Evangelium stets jung und taufrisch zu erhalten (Adv. haer. IIL 24, 1).
I. Wo stehen wir?
Zurr Erneuerung hat nicht zuletzt das Konzilsdekret über den Ökumenismus "Unitatis redintegratio" beigetragen. Es ist das erste ökumenische Dokument eines Konzils. In ihm hat das Konzil die ökumenische Bewegung als einen Impuls nicht des Geistes der Zeit sondern des Heiligen Geistes (Unitatis redintegratio 1,4) und die Wiederherstellung der Einheit der Christen als eine seiner Hauptintentionen bezeichnet. Entsprechend beginnt das Dekret mit den Worten: "Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen, ist eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils" (ebd., 1).
Das Konzil hat diese Intention zweifach begründet: Mit dem Willen Jesu Christi, zu dem die Spaltung der Christen in klarem Widerspruch steht, und mit der "heiligen Sache" der missionarischen Verkündigung des Evangeliums, der durch die Spaltung Schaden zugefügt wird. Für beide Anliegen kann sich das Konzil auf das Abschiedsgebet Jesu berufen. Denn am Abend vor seinem Leiden und Sterben hat Jesus gebetet, "dass alles ein seien", und er hat hinzugefügt: "damit die Welt glaubt" (Joh 17,21). Dieses Gebet ist Jesu Testament, sein letzter, uns verpflichtender heiliger Wille; in ihm bilden das ökumenische und das missionarische Anliegen eine Einheit.
Seit der Konzilserklärung vor 40 Jahren ist deutlich geworden: Ökumene ist in der Tat ein Abenteuer des Heiligen Geistes. Im November des letzten Jahres hat der Päpstliche Einheitsrat zum 40. Jubiläum des Konzilsdekrets in Rocca di Papa einen Kongress veranstaltet, zu dem alle Bischofskonferenzen der Welt und Vertreter aller Kirchen, mit denen wir im Dialog stehen, eingeladen waren. In einem Film haben wir das Geschehen dieser 40 Jahre in Momentaufnahmen Revue passieren ließ. Ich habe selbst gestaunt, was an damals Revolutionären, heute weithin selbstverständlich Gewordenen schon im Pontifikat von Papst Paul VI. geschehen ist: Bisher als unvorstellbar gehaltene Begegnungen mit Kirchenführern anderer Kirchen, vor allem mit dem ökumenischen Patriarchen Athenagoras und die Aufhebung des Kirchenbannes zwischen Rom und Konstantinopel am Vorabend des feierlichen Abschlusses des Konzils.
Als dann Johannes Paul II Papst wurde, haben viele dem Papst aus Polen ökumenisch nicht viel zugetraut. Sie haben sich getäuscht. Vom ersten Tag an bezeichnete er die Entscheidung des 11. Vatikanischen Konzils als irreversibel. Als erster Papst schrieb er 1995 eine Enzyklika über den Einsatz für die Ökumene, in der er feststellte, das ökumenische Bemühen sei keine Nebensache sondern "eine der pastoralen Prioritäten" seines Pontifikats (Ut unum sint, 99).
Als Kardinal Josef Ratzinger zum Papst gewählt wurde und den Namen Benedikt XVI. annahm, gab es wieder viele, welche die Sorge hatten, der Kardinal, welcher die Erklärung "Dominus Jesus" (2000) unterschrieben hatte, könne wohl kein Freund der Ökumene sein; manche mögen das sogar gehofft und erwartet haben. Doch schon am ersten Tag machte er den Sorgen wie diesen Erwartungen ein Ende, indem er die Einheit der Kirche als seine die Priorität erklärte. Die Reden, welche er seither etwa beim Empfang der Vertreter des Weltrates der Kirchen, des Lutherischen Weltbundes und in Köln bei der Begegnung mit den Vertretern der anderen Kirchen und Kirchengemeinschaften gehalten hat, zeigen dass es ihm damit ernst ist.
Am ökumenischen Engagement der katholischen Kirche kann also kein Zweifel bestehen. Das hindert nicht, dass wir wie bei dem genannten Kongress nüchtern bilanzieren und Licht und Schatten der gegenwärtigen ökumenischen Situation herausstellen müssen. Zu den lichtvollen Seiten gehört, dass die ökumenische Bewegung in der katholischen Kirche fast überall rezipiert ist, das heißt sie ist angekommen und angenommen. Sie wird fast überall als eine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive gesehen. Die anderen Christen werden nicht mehr als Gegner oder Konkurrenten wahrgenommen, sondern als Brüder und Schwestern in Christus. Wir leben, arbeiten und beten zusammen. Johannes Paul II. hat zu Recht die Neuentdeckung der christlichen Brüderlichkeit als die wichtigste Frucht der Ökumene bezeichnet (vgl. Ut unum sint, 42). Damit befinden wir uns zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einer Situation, von der man zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht einmal zu träumen gewagt hätte.
Wo Licht ist, da fällt auch Schatten. In den letzten 40 Jahren hat die ökumenische Bewegung viele Phasen durchlaufen: auf die enthusiastische Phase am Anfang, wo viele meinten, die Einheit sei schon zum Greifen nahe, folgten Phasen der Ernüchterung und der Enttäuschung, manchmal Phasen einer Krisen- und Katerstimmung.
Beide Urteile halten der Wirklichkeit nicht stand. Es ist wahr: Wir haben das Ziel, die volle sichtbare Kirchengemeinschaft noch nicht erreicht, und der Weg dorthin scheint uns heute länger und mühsamer zu sein als am Anfang vermutet. Aber die geschehenen Annäherungen sind unbestreitbar, sowohl auf der Ebene der Kirchenleitungen wie auf der Ebene des kirchlichen Lebens vor Ort. Ausnahmen, die es leider gibt, bestätigen die Regel. Fortschritte sind auch gegenwärtig noch möglich.
Nur drei Beispiele von vielen aus dem Bereich der offiziellen Ökumene: Der von vielen schon tot gesagte internationale Dialog mit den orthodoxen Kirchen wird in er nächsten Woche wieder aufgenommen; die Dialogkommission mit dem Lutherischen Weltbund wird zu Beginn des neuen Jahres ein Dialogpapier zur Apostolizität der Kirche verabschieden; schließlich will die methodistische Weltgemeinschaft bei ihrer Vollversammlung in Seoul im Juli nächsten Jahres der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" beitreten. Von einem ökumenischen Winter oder gar von einer Eiszeit zu rede, ist also zuminderst reichlich übertrieben.
Wir sollten freilich auch die Schattenseiten, die Probleme und die Kritik an der ökumenischen Bewegung zur Kenntnis nehmen. Sie kommen aus verschiedenen Richtungen. Da gibt es auf der einen Seite die weit verbreitete Kritik, dass alles viel zu langsam geht, ja dass die Bewegung schon wieder zum Stillstand gekommen oder gar auf dem Rückwärtsgang sei. Andere befürchten, Ökumene führe zur Auflösung der jeweiligen konfessionellen Identität. Die einen haben Angst über eine Protestantisierung der katholischen Kirche, die anderen fürchten, die evangelischen Partner lassen sich über den Tisch ziehen. Wieder andere sind grundsätzlich der Meinung, Ökumene führe zu dogmatischen Relativismus und Indifferentismus. Ökumene ist daher für manche geradezu zu einem Reizwort geworden, zum Inbegriff aller Häresien und zum Ausdruck des apokalyptischen Versuchs einer antichristlichen Welteinheits-Kirche, vor der bereits die Johannesapokalypse gewarnt haben soll. Solches kann man in manchen orthodoxen Kreisen hören, ebenso bei manchen evangelikalen und pentekostalen Gruppierungen, die gegenwärtig vor allem in der südlichen Hemisphäre fast explosionsartig zunehmen.
Bei uns in Deutschland ist solche Total- und Frontalkritik eher selten; aber es gibt ernst zu nehmende Theologen, die entweder vornehme "Zurückhaltung" üben oder Kritik an der so genannten Konsensökumene vortragen und ihr eine konfessionelle Profilierung durch Abgrenzung gegenüberstellen. Von evangelischer Seite wurde Kritik vor allem gegenüber der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) laut, gegenüber der Erklärung der Glaubenskongregation "Dominus Jesus" (2000) schwoll sie dann mächtig an. Umgekehrt wurden von katholischer Seite einige Stellungnahmen aus der EKD und der VELKD sowie der Rückzug aus der gemeinsamen Arbeit an der "Einheitsübersetzung" kritisch und mit Bedauern zur Kenntnis genommen.
Erschwerend ist vor allem, dass im Verhältnis zu einigen evangelischen Kirchen neue, bisher nicht gekannte Unterschiede in moralischen Fragen zu Tage getreten sind: Fragen, welche die Heiligkeit des Lebens und die Sexualethik betreffen. Solche neue Unterschiede erschweren das gemeinsame Zeugnis in der säkularisierten Welt von heute. So ist die ökumenische Atmosphäre in Deutschland, aber auch andernorts in Europa seit dem ökumenischen Kirchentag in Berlin gereizter und schwieriger geworden. An die Stelle einer Hermeneutik des Vertrauens ist leider oft eine Hermeneutik des Verdachts getreten. Es bedarf eines neuen, solid begründeten ökumenischen Schwungs. Denn der Auftrag Christi steht eindeutig fest. Johannes Paul II. hat formuliert: "An Christus glauben heißt die Einheit wollen" (Ut unum sint, 9).
In diesem Sinn möchte ich auf die Frage eingehen: Wie soll und wie kann es in der Ökumene weitergehen? Ich kann und will kein vollständiges Programm entfalten. Neue Kraft und neuen Schwung erhalten wir nicht durch ausgeklügelte Aktionsprogramme, sondern durch neue und vertiefte Besinnung auf die Grundlagen und das Ziel. In diesem Sinn möchte ich auf der Grundlage der katholischen Prinzipien des Ökumenismus einige mir wichtig erscheinende Wegmarkierungen vorzutragen. Ich möchte fünf Thesen aufstellen und eine Schlussbemerkung hinzufügen.
II. Wohin gehen wir?
1. Die Ökumene der Zukunft muss seriös sein. Mehr akademisch ausgedrückt: Die Ökumene der Zukunft muss sich über ihre Grundlagen im Klaren sein. Was von jeder seriösen Theologie gilt, gilt selbstverständlich auch von der ökumenischen Theologie; sie muss wie jede Wissenschaft von klaren Prinzipien ausgehen. Diese Grundlagen sind nicht ein sentimentales vages Zusammengehörigkeitsgefühl, ein verwaschener Humanismus oder eine Allerweltsreligion, die sich in einen diffusen dogmatischen Relativismus oder Indifferentismus auflöst.
Nach katholischem Verständnis besteht die Grundlage der ökumenischen Dialogs im Zeugnis der Heiligen Schrift so wie diese in dem uns gemeinsamen Glaubensbekenntnis und in den Bekenntnissen der ersten Konzilien interpretiert wird und wie sie in der Taufe auf den dreifaltigen Gott zum Ausdruck kommt. Auf Grund der einen Taufe sind wir in Christus; alle Christen stehen damit in einer realen, wenngleich noch nicht vollen Gemeinschaft und dürfen sich gegenseitig den Ehrentitel des "Christen" zuerkennen. Von dieser gemeinsamen Grundlage geht die ökumenische Theologie aus.
Diese Grundlage kommt auch in der Basisformel des Weltrates der Kirchen zum Ausdruck; sie wird vom Ökumenismusdekret des II. Vatikanischen Konzils ausdrücklich zitiert (Unitatis Redintegratio, 1). Dort heißt es, die ökumenische Bewegung werde von Menschen getragen, welche den dreieinigen Gott anrufen und Jesus als Herrn und Erlöser bekennen. Was uns verbindet ist also der gemeinsame Christusglaube und das trinitarische Bekenntnis.
Diese gemeinsame Grundlage wurde in der Studie des WRK über das Nikaiakonstantinopolitanische Glaubensbekenntnisse "Confessing the one Faith" ("Gemeinsam den einen Glauben bekennen", 1991) kommentiert und in seiner Bedeutung für heute dargelegt. Leider ist diese Studie wenig rezipiert und leider nicht von allen Partnern angenommen. Das gilt auch von der 1999 in Augsburg unterzeichneten "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Auch sie ist zentral, denn in der sie Rechtfertigung geht es darum, was Jesus Christus, was Kreuz und Auferstehung für uns bedeuten, was es also bedeutet durch Jesus Christus erlöst, gerechtfertigt und geheiligt zu sein. Auf dieser gemeinsamen Grundlage können wir gemeinsam Zeugnis geben von dem, was die Mitte des Evangeliums ausmacht. Das ist in unserer säkularisierten Welt nicht wenig. Umso bedenklicher, dass diese gemeinsame Grundlage nicht mehr von allen angenommen wird.
So gehört es zur Seriosität ebenfalls, dass wir auch die Differenzen, welche leider zwischen uns stehen, nicht verschweigen oder verharmlosen. Dazu gehört vor allem die Frage, wie das gemeinsame Zeugnis der Heiligen Schrift verbindlich zu interpretieren ist. Das Verhältnis von Schrift und Tradition sowie von Schrift und kirchlichem Lehramt ist noch nicht gelöst. Dieser Dissens hat letztlich zu der bedauerlichen Aufkündigung des Projekts einer gemeinsamen Bibelübersetzung geführt. Daneben sind trotz mancher Annäherungen die gleich noch zu nennenden Fragen des Kirchenverständnisses wie der Marien- und Heiligenverehrung noch offen.
Ökumene setzt also Klarheit, Wahrheit und Wahrhaftigkeit voraus. Dialog kann ich nur mit jemand führen, der selbst eine Position hat und der sich zu seiner Position bekennt; nur er kann auch die Position eines anderen achten. Es ist daher nicht der geringste Grund der gegenwärtigen krisenhaften Phänomene, dass viele Christen nicht mehr wissen, was Christsein und erst recht nicht was Evangelisch-, Orthodox- oder Katholischsein bedeutet oder dass ihnen die konfessionellen Unterschiede gleichgültig geworden sind. Gleichgültigkeit ist kein Fundament sein, auf das man bauen kann.
Die Ökumene der Zukunft setzt daher christliche Initiation, das heißt eine solide ganzheitliche Einführung in den Glauben und in das Leben der Kirche voraus. Viele Christen sind getauft ohne evangelisiert zu sein und ohne jemals durch eine gründliche Katechese wirklich in den Glauben eingeführt worden zu sein. Hier liegt das Grundproblem beider Volkskirchen. Vielen Diskussionen mangelt es an Information über das eigne Glaubensbekenntnis und das der anderen Christen. So gibt es noch immer viele Vorurteile und Missverständnisse. Ignoranz und Indifferenz sind der größte Feind der Ökumene. Als erstes ist darum solide ökumenische Theologie und ökumenische Bildungsarbeit angesagt. Bildung und Fortbildung sind heute in allen Lebensbereichen notwendig, auch im kirchlichen Bereich und nicht zuletzt in der Ökumene.
2. Zur Seriosität in den Grundlagen kommt die Klarheit in der Zielbestimmung. Der gemeinsame ökumenische Weg setzt ein gemeinsames Ziel voraus. Hat man kein gemeinsames Ziel, besteht die Gefahr, dass man sich, ohne es zu wollen. in verschiedene Richtungen bewegt und am Ende weiter auseinander ist als zuvor. Die Basisformel des WRK definiert dieses Ziel als sichtbare Einheit. Die letzte Vollversammlung des WRK in Harare (1998) hat freilich eingeräumt, dass gegenwärtig kein voller Konsens darüber besteht, was sichtbare Einheit konkret meint, dass wir also keine "common vision", keine gemeinsame Vision haben. Der Mangel einer gemeinsamen Zielvorstellung ist neben der Unklarheit in den Grundlagen das wohl schwerwiegendste gegenwärtige ökumenische Problem.
Übereinstimmung besteht darüber, dass Einheit nicht Uniformität bedeutet. Es geht um die Einheit der Kirche, aber nicht um eine Einheitskirche. Der Papst hat bei der ökumenischen Begegnung in Köln noch einmal deutlich gesagt: Was wir wollen ist "Einheit in der Vielfalt und der Vielfalt in der Einheit". Doch was ist mit dieser Formel gemeint? Bei genauerem Zusehen ist sie alles andere als eindeutig.
Die katholische Kirche versteht darunter – und dabei stimmt sie mit der orthodoxen Position grundsätzlich überein – eine Einheit im einen Glauben, in denselben Sakramenten und im einen apostolisch begründeten Bischofsamt. Verschiedenheit dagegen ist möglich in den Ausdrucksformen des einen Glaubens, in den sakramentalen Riten sowie in der Ausgestaltung des kanonischen Rechts.
So hat die katholische Kirche die christologischen Bekenntnisse der orientalisch-orthodoxen Kirchen, welche die Formel des Konzils von Chalkedon (451) nicht annehmen aber mit etwas anderen Formulierungen sachlich dasselbe glauben, offiziell anerkannt. Ebenso kann man den "Filioque"-Zusatz im Credo, der uns von der Ostkirche unterscheidet, nicht als kontradiktorische sondern als komplementäre und Wahrheit verstehen (vgl. Katechismus der katholischen Kirche, 246-248). Schließlich hat die katholische Kirche in der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" eine legitime Einheit in der Vielfalt anerkannt. Die katholische Kirche achtet und schätzt die orientalischen Riten, und sie anerkennt das Recht der orientalischen Kirchen sich nach ihren eigenen Ordnungen zu regieren (Unitatis redintegratio, 16).
In weiten Teilen der evangelischen Seite hat sich in den letzten Jahrzehnten eine andere Auffassung der Einheit in der Vielfalt durchgesetzt. Man beruft sich dafür auf den Art. 7 der CA mit dem berühmten Formel "satis est"; danach ist es zur Einheit der Kirche genug, einen Grundkonsens in der Lehre des Evangeliums und der evangeliumsgemäßen Verwaltung der Sakramente von Taufe und Abendmahl zu haben, dass aber im Verständnis und in der Gestalt der Ämter in der Kirche grundlegende Unterschiede möglich sind.
Auf dieser Grundlage haben die Kirchen lutherischer und reformierter Tradition, die bis dahin keine Kommuniongemeinschaft hatten, 1973 in der Leuenberger Konkordie Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und damit Kirchengemeinschaft aufgenommen; sie taten dies, obwohl zwischen ihnen weiterhin lehrmäßige Unterschiede im Eucharistieverständnis wie im Kirchen- und Amtsverständnis bestehen. Das mag innerevangelisch als Fortschritt bewertet werden; für katholisches Verständnis ist dies keine hinreichende Grundlage für Kirchen- und Kommuniongemeinschaft, denn dies ist keine Einheit in der Verschiedenheit, sondern nach wie vor Verschiedenheit ohne wirkliche beziehungsweise ohne hinreichende Einheit.
Wir haben also unterschiedliche ökumenische Konzepte und sind uns nicht einig, wohin die ökumenische Reise gehen soll. Dieser Unterschied hängt mit unserem unterschiedlichen Verständnis der Kirche zusammen. Auch hier gibt es zwar einen grundlegenden Konsens. Für beide Partner ist die Kirche nicht eine rein soziologische Größe, sondern – wie es die Heilige Schrift ausdrückt – der Leib Christi und der Bau im Heiligen Geist. Der Unterschied betrifft die Frage inwiefern die Kirche heilsvermittelnd ist. Ist der einzelne Christ unmittelbar zu Gott, oder ist er in seinem persönlichen Gottesverhältnis an die Gemeinschaft in und mit der konkreten Kirche gebunden? So stehen sich also ein mehr individualistisches protestantisches und ein mehr gemeinschaftsbezogenes katholisches Kirchenverständnis gegenüber. Damit verbunden ist die Frage, ob das Bischofsamt in apostolischer Nachfolge, das für uns im Petrusamt seine Einheit stiftende Mitte hat, wesentlich zur Kirche gehört und für die Einheit der Kirche notwendig ist.
Um also in diesen Fragen weiterzukommen hat die Kommission des WRK "Glaube und Kirchenverfassung" das Projekt der "Nature and purpose of the Church" ("Das Wesen und die Bestimmung der Kirche") aufgelegt. Dieses hat für uns eine hohe Priorität. Denn nur auf dem Weg einer Klärung des Kirchenverständnisses und der Bedeutung der Kirche für den einzelnen Christen können wir den Unterschied in der Zielbestimmung der Ökumene überwinden und eine gemeinsame ökumenische Vision entwickeln.
www.zenit.org/german/visualizza.phtml?sid=83026
[Modificato da TERESA BENEDETTA 21/01/2006 20.02]